Aufruf der Kampagne "NS-Verherrlichung stoppen!":
Am 12. November 2016 wollen sich zum achten Mal in Folge Neonazis aus
ganz Deutschland in Remagen versammeln, um ihrem NS-Revisionismus
freien Lauf zu lassen. Die Aufmarschierenden aus dem rechtsradikalen
Spektrum nutzen hierzu die geschichtsträchtige Stadt Remagen als Bühne
für eine geschichtsrevisionistische Täter-Opfer-Umkehr und die
Verherrlichung der Nationalsozialistischen Gräueltaten.
Das antifaschistische Bündnis „NS-Verherrlichung Stoppen!“ ruft daher
unter dem Motto „Rechtsterrorismus bekämpfen – Genug ist genug!“ ab 10
Uhr zu einer überregionalen Demonstration am 12. November in Remagen
auf.
Opfermythos „Rheinwiesenlager”
Die Stadt Remagen, welche durch die Ludendorff-Brücke („Brücke von
Remagen”) bekannt wurde, war der Ort der ersten Rheinüberquerung der
Alliierten im März 1945, welche zu einem wichtigen Schritt im
Befreiungskampf gegen Nazideutschland zählt. Nach dem Sieg über die
Wehrmacht in der Region wurden gegen Kriegsende entlang des linken
Rheinufers mehrere Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten errichtet
– die so genannten „Rheinwiesenlager”. Eines dieser Lager befand sich
in Remagen. Aufgrund der kriegsbedingten Gesamtsituation konnte der
sowieso schon erschöpften und angeschlagenen gut einen Million
Gefangenen nicht umgehend die notwendige Versorgung und Hygiene zur
Verfügung gestellt werden. Daher kam es im Zuge des kurzen Bestehens der
„Rheinwiesenlager” zu zahlreichen Todesfällen, welche sich für das
Remagener Lager auf eine Zahl von ca. 1200 belaufen, und auf insgesamt
5000 bis 10000 geschätzt werden.
Die Neonazis konstruieren hier jedoch einen Opfermythos, der von mehr
als einer Million Toten als Folge eines organisierten „Massenmordes” an
den „unschuldigen“ deutschen Soldaten erzählt. Gestützt wird dieser
Mythos von bürgerlicher Seite unter anderem durch die Remagener
„Friedenskapelle”, welche zur Erinnerung an das „Rheinwiesenlager”
errichtet wurde. Sie beinhaltet unter anderem die „Schwarze Madonna” –
eine Lehmskulptur des NS-Bildhauers und Ex-Inhaftierten der Lager, Adolf
Wamper, der 1944 in die „Gottbegnadeten-Liste“ aufgenommen wurde, in
der die für die NS-Zeit wichtigsten Künstler*innen geehrt wurden. Als
wäre dies nicht schon genug, wird in der Inschrift im Boden der
„Friedenskapelle“ ausschließlich den deutschen „Landsern“ gedacht, die
in diesem „Schreckenslager“ umgekommen seien. Die Opfer des deutschen
Vernichtungskrieges finden hier keinerlei Erwähnung, was einer
Relativierung der nationalsozialistischen Massenvernichtung gleich
kommt. Die Akzeptanz dieses „Denkmals“ und die Verteidigung gegen
jegliche sachliche Kritik zeigt die tiefe Verwurzelung des deutschen
Opfermythos in der bürgerlichen Gesellschaft. Dass dieses
geschichtsrevisionistische Denkmal dem Naziaufmarsch als Ziel und
Pilgerstätte dient, verwundert also keineswegs.
Die rechte Szene hinter dem Aufmarsch
Die volksdeutsche Versammlung ist Anlaufpunkt für eine Vielzahl
rechter Akteur*innen und stellt in seiner Zusammensetzung, Größe und
Regelmäßigkeit eines der letzten, aber bedeutendsten öffentlichen
Treffen der organisierten rechtsterroristischen Szene Deutschlands dar.
Maßgeblich organisiert wurde die Veranstaltung in der Vergangenheit vom
mittlerweile verbotenen „Aktionsbüro (AB) Mittelrhein“, dessen
organisatorische Struktur größtenteils in die NPD-Jugend „JN-Ahrtal“
übergegangen ist. Das Verbot des „AB Mittelrhein“ wurde begleitet von
Anklagen gegen 26 Mitglieder und Unterstützer im Jahr 2012 wegen der
Bildung bzw. der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Das Maß an
Organisation und die Brutalität, mit der die Organisationen und deren
Umfeld gegen Gegner*innen vorgehen, die nicht in das
nationalsozialistische Weltbild passen, lässt sich nur mit einem Begriff
zusammenfassen: Terroristisch.
Zwei Ereignisse der jüngeren Vergangenheit demonstrieren die
Verflechtungen von organisierten Nationalist*innen und rechten
Gewalttäter*innen in der Region:
Der lebensgefährliche Messerangriff auf die Kölner
Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Oktober 2015 durch
Ex-FAP-Mitglied [1] Frank Steffen ist eines der Beispiele. Mit ihm
gemeinsam in der FAP war Ralph Tegethoff tätig, der bis Heute zu den
federführenden Organisatoren des Aufmarsches in Remagen zählt. Außerdem
ist er Waffenhändler, Anführer der Kameradschaft „Sturm 08/12” und hat
das „AB Mittelrhein“ auf seinem Privatgelände militärisch trainiert und
ausgebildet.
Ein weiteres Beispiel sind die – sich jüngst häufenden – Übergriffe
auf Nazigegner*innen in Dortmund. Trauriger aktueller Höhepunkt dabei:
Am 14. August wurde ein Nazigegner Opfer eines Messerangriffs, dem er
nur mit „Glück” und zwei Stichverletzungen im Bauch entkam. Bei
mindestens einem der vier Angriffe innerhalb von zwei Wochen sind hier
unter anderem Michael Brück und Christoph Drewer identifiziert worden
[2]. Die beiden sind führende Funktionäre der Nazipartei „Die Rechte”,
die seit dem Verbot des „AB Mittelrhein“ als Veranstalter des
Aufmarsches in Remagen fungiert.
Bundesweite Übergriffe und die „gesellschaftliche Mitte”
September 2016: Die große Welle der Solidarität, mit der die vor
Krieg, Verfolgung und Mord geflüchteten Menschen im Sommer 2015 noch von
breiten Teilen der Gesellschaft Willkommen geheißen worden sind, ist
größtenteils verebbt. Zahlreiche EU-Staaten haben sich entgegen des
Schengenabkommens für eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen
entschieden. Zäune, Stacheldraht und Soldat*innen säumen nun nicht mehr
nur die „Festung Europa“, sondern auch viele innereuropäische Grenzen
auf der sogenannten Balkanroute, auf welcher sich aufgrund des
unsäglichen „Flüchtlingsdeals” zwischen EU und Türkei sowieso nur noch
wenige Geflüchtete bewegen.
Asylrechtsverschärfungen wurden ohne nennenswerten Widerstand
innerhalb der großen Koalition abgesegnet und von der breiten
Bevölkerung mitgetragen. Vorfälle wie die europaweiten Anschläge
islamistischer Terrorist*innen oder aber auch die sexuellen Übergriffe
am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015 werden von rechten
Populist*innen ausgeschlachtet und zur Stimmungsmache gegen
Migrant*innen und Andersgläubige instrumentalisiert. Mit Erfolg. Die
Frage, ob es sich bei den wütenden Mobs, die sich auf den Straßen und in
den sozialen Medien formieren, tatsächlich um einen „gesellschaftlichen
Rechtsruck” oder lediglich um das bisher aus der Öffentlichkeit
verdrängte und nun entfesselte Ressentiment handelt, ist an dieser
Stelle gar nicht so relevant. Tatsache ist aber, dass „das Volk” – wie
sich die deutschen Wutbürger*innen gerne selbst titulieren – längst
keine Randerscheinung mehr ist oder seine Mobilisierung auf montägliche
PEGIDA-Events beschränkt. „Das Volk” ist überall, ein gesellschaftlicher
Normalzustand und wird in einigen Regionen durch staatliche
Institutionen in seinem Wahn bestärkt und verteidigt, wie unter anderem
die Beispiele aus Clausnitz, Bautzen oder Dresden zeigen [3,4,5,6].
Bautzen hat im September wieder bewiesen, dass sich die Gesamtlage
auch ein Jahr nach den Pogromen von Heidenau keinesfalls zum Positiven
entwickelt hat. Rechte Schläger*innenbanden marschieren Hand in Hand mit
der „gesellschaftlichen Mitte” im Rausch durch die Straßen, lassen
ihrem Hass freien Lauf und veranstalten Hetzjagden auf jugendliche
Geflüchtete, während staatliche Institutionen die rechten Angriffe
herunterspielen, den migrantischen Opfern die Verantwortung an den
Ausschreitungen zuschieben und diese auch noch mit Repressionen
überziehen.
Eine Woche vor den „Einheitsfeierlichkeiten” wurden in Dresden zwei
Sprengstoffanschläge auf eine Moschee und das Kongresszentrum verübt,
bei denen zum Glück niemand verletzt wurde. Skandalös dabei ist, dass
die Polizei die Tatorte erst dreizehn Stunden nach den Detonationen
absicherte. Und während die Ermittler*innen noch dabei waren, die
Echtheit eines offensichtlich gefälschten, linken
Bekenner*innenschreibens zu prüfen, stellte der sächsische Innenminister
das Schreiben in den Medien schon als authentisch dar. Erst einige Tage
zuvor sprach der sächsische Verfassungsschutz davon, dass die einzig
wahre Gefahr im Lande von Autonomen (Linken) ausgehe.
Durch diesen ideologischen Rückhalt in der Bevölkerung und die
stetige Nachgiebigkeit der Gesellschaft in Bezug auf demokratische
Mindeststandards, fühlen sich rechte Täter*innen in ihrem Handeln
bestätigt. Hierbei gehen organisierte Rechtsterrorist*innen und „Otto
Normal” Hand in Hand. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht von
Übergriffen auf Geflüchtete, Migrant*innen, deren Unterkünfte oder
Unterstützer*innen berichtet wird. Ob es nun übergriffige „besorgte
Bürger*innen” in Dresden sind [7], „verängstigte” Feuerwehrleute in
Altena [8], der von Selbstjustiz getriebene Mob in Köln [9] oder
Nazihools in Leipzig-Connewitz [10] (um nur einige Beispiele zu nennen):
Der rechtsterroristische Rand handelt keineswegs isoliert vom
bürgerlichen Lager. Die Grenzen sind fließend, der Beifall stets hörbar
und die Stammtische gemischt besetzt.
Am ersten Oktoberwochenende trafen sich in Dresden die politischen
Repräsentant*innen, um den Tag der Deutschen Einheit zu feiern.
Gleichzeitig werden progressive Kräfte, Humanist*innen und Antifas
wahllos mit Repression überzogen und Protestveranstaltungen be- sowie
verhindert. Parallel dazu formiert sich der menschenverachtende Mob und
darf ungeniert seinem Zorn freien Lauf lassen. „Volksverräter” wird
skandiert. Die Rückbesinnung auf das Völkische stellt eine Kernforderung
der rechten Agitation dar. Eine Kernforderung, durch die sich auch in
Zukunft weiterhin Täter*innen dazu legitimiert fühlen werden,
Migrant*innen, Journalist*innen, Andersgläubige, Linke und generell
Menschen, die nicht in das eigene Weltbild passen, mit
Einschüchterungsversuchen und Gewalt zu begegnen.
Die parlamentarische Verkörperung dieses explosiven Gemenges
präsentiert sich mit babyblauem Banner. Die „Alternative für
Deutschland” schafft es, einerseits als rechtsideologische
Stichwortgeberin für die braune Mischung aus Stammtischphilosoph*innen,
Wutbürger*innen und Gewalttäter*innen zu fungieren, andererseits die
reaktionären Ergüsse und Forderungen in ein Parteiprogramm zu verpacken,
welches als Bekenntnis zu wahren demokratischen Werten verkauft werden
soll. Sie demonstriert mittlerweile seit Jahren, wie neonazistisches
Gedankengut aus der „gesellschaftlichen Mitte” über die Stufe des
„besorgtbürgerlichen Protests” den Weg hinein in die Landesparlamente
schafft. Mit zweistelligen Wahlergebnissen. Dass es sich bei den
Vertreter*innen der blaubraunen Politik mitnichten „nur” um konservative
Hardliner*innen, Antifeminist*innen und Menschen, welche mit der
Asylpolitik der Bundesregierung unzufrieden sind handelt, muss
eigentlich gar nicht mehr gesagt werden. Immer öfter werden auch direkte
Verbindungen der Partei zur gewalttätigen Neonaziszene offengelegt [11,
12, 13]. Die sogenannte gesellschaftliche Mitte steht daher in der
klaren Verantwortung, den ideologischen Rückhalt rechter
Gewalttäter*innen im Kern anzugreifen und zu entkräften. Denn der
Zusammenhang zwischen der rechtsterroristischen Szene und dem
„Besorgtbürgertum” ist dichter, als Mensch lieb sein kann.
Das Beispiel des Naziaufmarsches von Remagen zeigt dabei deutlich,
wie sehr auch die Verherrlichung des Nationalsozialismus ideologisch mit
dem Nazigedenken der bürgerlichen „gesellschaftlichen Mitte” verwoben
ist. Denn auch abseits organisierter und weniger organisierter rechter
Kreise zeigt sich der Versuch, die Kriegsschuld der Deutschen mit
„unschuldigen” Opfern aufzuwiegen deutlich. Die „Rheinwiesenlager” sind
dabei nur ein mythischer Pfeiler der gescheiterten
Geschichtsaufarbeitung. Andere heißen „Dresden ’45”, „Sibirische
Kriegsgefangenschaft” oder „Bund der Vertriebenen”. Warum das Betrauern
von Kriegstoten in diesem Land nicht ohne die Relativierung von
Weltkrieg, Kriegsverbrechen, Massenmord und Shoah geschehen kann, bleibt
eine offene Frage. Klar ist hingegen, dass eine Aufarbeitung der
Geschichte verunmöglicht wird, solange deutsche Kriegsschuld und die
Folgen der nationalsozialistischen Grausamkeit durch die zwangsläufigen
Konsequenzen für besiegte Täter*innen relativiert und durch
Begrifflichkeiten wie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit” kaschiert
werden.
Genug ist Genug!
Daher fordern wir alle progressiven Kräfte auf, sich an der
antifaschistischen Demonstration und anderen Gegenaktivitäten am 12.
November zu beteiligen. Es ist notwendig zu zeigen, dass für
geschichtsrevisionistisches Gedankengut kein Platz ist! Es muss deutlich
werden, dass weder die rechte NS-Verherrlichung, noch der zugrunde
liegende, gesellschaftliche Konsens über die Aufrechterhaltung deutscher
Opfermythen hinnehmbar ist. Der Rückbesinnung auf das Völkische muss
Einhalt geboten werden, hierfür müssen wir die Probleme an ihren Wurzeln
packen. Geschichtsverfälschung ist eine davon.
Also beteiligt euch an den Aktionen, und lasst uns dem revisionistischen
Opferfest rechter Terrorist*innen gemeinsam ein Ende setzen!